Beobachtung und Dokumentation von Prozessen  

 

Die Prozessbeobachtung ist etwas ganz Alltägliches. Lehrer können nicht handeln, ohne sich immer wieder zu vergewissern: was ist das für eine Situation, in der ich handle? Was „verlangt“ die Situation von mir? Was passiert, wenn ich handle? Entwickelt sich die Situation im Sinne meiner Erwartungen? Diese Beobachtungen sind im Normalfall weitgehend intuitiv und ganzheitlich, seltener absichtlich und gezielt. Sicherheit im handeln erfordert einen „Blick für die ganze Situation“, damit sich das Handeln in sie wie selbstverständlich einfügen kann.

Wenn das Handeln nicht mehr befriedigt und Lehrer mehr über eine Situation erfahren möchten, reicht dieses „Sehen“ meist nicht aus, weil sein ganzheitlicher Charakter seine Schwächen hat.

Dazu gehören:

·         Diffusität: die Aufmerksamkeit ist breit gestreut, Details gehen verloren;

·         Vorurteilsbehaftetheit: die aufgenommene Information wird mit minimaler Reflexion für das handeln verwertet. Dadurch entsteht ein unkontrollierter Einfluss von Vorurteilen und die Gefahr, „zu sehen, was man sehen will“.

·         Flüchtigkeit: die Beobachtungen sind nur für eine kurzfristige Verarbeitung verfügbar. Für eine Überprüfung ihrer Verlässlichkeit sind sie nicht stabil genug.

Gezielte Prozessbeobachtung hat den Zweck, diese Schwächen zu mildern. Sie verringert die Diffusität des Sehens, indem sie gezielt mit Hilfe von Kategorien und zu einem bestimmten Zweck beobachtet.

Sie verringert die Vorurteilsbehaftetheit des Sehens, indem sie der „Wirklichkeit“ Gelegenheit gibt, den Vorurteilen zu widersprechen.

Schließlich kompensiert sie die Flüchtigkeit des Sehens durch vielfältige Methoden, Beobachtetes festzuhalten.

 

Im Folgenden werden vier Arten der Beobachtung beschrieben.

 

1.       Direkte Prozessbeobachtung
Bei der direkten Prozessbeobachtung wird auf technische Hilfsmittel verzichtet. Der forschende Lehrer ist im Gegensatz zu hauptberuflichen Forschern in erster Linie Lehrer und nur nebenbei Beobachter. Wenn er Unterricht beobachten will, übernimmt er eine zweite Aufgabe, die manchmal mit seiner ersten Aufgabe, dem Unterrichten, zusammenfällt, manchmal aber auch mit ihr in Konflikt geraten kann.
In Gruppenarbeitsphasen oder durch eine entsprechende Teamarbeit lässt sich eine gezielte Beobachtung ermöglichen. Vielleicht lässt sich auch eine Beobachtung durch einen unbeteiligten „Dritten“ arrangieren, der mit einer gewissen „Naivität“ und einem „Fremden Blick“ auf die Situation schaut.
Beschreiben Sie immer so genau wie möglich, was geschieht. Trennen Sie Beschreibung und Interpretation. Zur Vorbereitung sind folgende Vorüberlegungen notwendig:
Was soll beobachtet werden? Ist es der Ablauf eines Ereignisses, ist es der Schüler, ist es ein bestimmtes Verhalten des Schülers, sind es Aspekte des eigenen Verhaltens? Welche Perspektive interessiert Sie? Wollen Sie wissen, wie der Schüler eine Situation erlebt, so ist es eventuell sinnvoll, so weit wie möglich seinen Blickwinkel (räumlich und empathisch) einzunehmen.
Halten Sie vorher fest, was Sie gerne sehen würden. Notieren Sie sich eventuell Kategorien für die Beobachtung.
Warum wird beobachtet? Mit welchen Annahmen und Erwartungen erfolgt die Beobachtung? Notieren Sie Ihre Erwartungen. Was glauben Sie, was Sie sehen werden? Dies dient der Bewusstmachung eigener ‚Vor’-urteile und Annahmen.
Wann und wie lange wird beobachtet? Welcher Zeitraum ist sinnvoll und realistisch?
Wann und wie wollen Sie Ihre Beobachtungen festhalten? Eine intensive Beobachtung ohne technische Hilfsmittel ist sehr anstrengend, wählen Sie kurze Phasen. Verwenden Sie Abkürzungen für häufig auftretende Wörter.

Diese Fragen sind auch bei allen anderen Arten der Dokumentation relevant.

2.       Tonaufzeichnung
Aufzeichnungen mit dem Tonband halten die akustischen Merkmale eines Prozesses fest. Gegenüber der Beobachtung geht einiges an Informationen verloren: der situative Rahmen, in dem ein mündlicher Ausdruck erfolgt oder alle nicht-akustischen Äußerungen (Mimik, Gestik). Dennoch bietet das akustische Material die Möglichkeit sich auf einen Kanal zu konzentrieren und die Prozessbeobachtung genau festzuhalten. Die Aufzeichnungen werden zur Auswertung transkripiert. (Transkriptionsregeln gibt es  auf der Internetseite.)

3.       Fotografie
Mit Fotografien werden Situationen erfasst, die der Beobachtung zwar zugänglich sind aber aufgrund des flüchtigen Charakters sehr leicht übersehen werden.
Fotos haben vor allem in Zusammenhang mit anderen Datenquellen (Unterrichtsaufzeichnungen oder Interviews) ihren Wert. Fotos können z.B. auch als Grundlage für weitere Gespräche mit Eltern, Kollegen oder Fachleuten dienen.
Das Fotografieren in der Klasse ist zwar mit Störungen verbunden – aber weniger aufwändig als das Filmen.

4.       Videoaufzeichnung
 Die audiovisuelle Dokumentation vereinigt die Vorteile der auditiven und visuellen Dokumentation, es ergibt sich eine relativ ganzheitliche Rekonstruktion der aufgenommenen Situation, allerdings aus der Perspektive der Kamera.
Wichtig ist die genaue Vorbereitung: Wer soll filmen? Was soll gefilmt werden? Nutzen wir ein Stativ (durch die statische Verwendung ergeben sich weniger Störungen der Situation) oder ist viel Bewegung in der Situation, sodass die Kamera von hand geführt werden muss?
Gibt es verschiedene Perspektiven der Situation? Manchmal ist es sinnvoll etwas aus der Perspektive des Schülers zu filmen, um sich seiner Wahrnehmung der Situation zu nähern.

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